Chaplin ­- Hartford (62,9)

Eigentlich wollte Steffen ja über unsere letzte Nacht oder besser gesagt unsere letzte Unterkunft den Mantel des Schweigens hüllen, aber ich möchte trotzdem ein paar Worte dazu verlieren. Dabei geht es gar nicht darum, wie teuer oder günstig eine Unterkunft ist. Was für den einen teuer ist, empfindet ein anderer vielleicht als Schnäppchen, aber wenn man mehr als 130 Dollar für eine Unterkunft bezahlt, kann man doch einen gewissen Standard erwarten, dachten wir. Nun ja, wir waren einmal da und irgendwo mussten wir ja schlafen. Keine Angst es war nicht so schlimm, wie in dem einen oder anderen Horrorfilm, aber schön ist auch etwas anderes. Ich fühlte mich unwohl und habe beschlossen, im Inlet meines Schlafsacks zu schlafen. Steffen fand das etwas übertrieben.. Wir schliefen ganz gut ein, wurden aber gegen 3 Uhr wach, weil es wirklich kalt war. Die Heizung/Klimaanlage hatten wir den ganzen Abend laufen, aber sie war laut und Sauerstoff produzierte sie auch nicht. Steffen war inzwischen auch wach und fror, obwohl er sich bereits in diverse Decken gehüllt hatte. Aber zum Glück hatten wir ja unsere Schlafsäcke. So holten wir nachts halb vier unsere Schlafsäcke aus den Taschen, kuschelten uns ein und schliefen nun bis sieben bzw. halb acht durch.

Nach dieser etwas merkwürdigen Nacht freuten wir uns, dass die Sonne schien und schräg gegenüber von unserem „Hotel“ war ein Diner, der Frühstück anbot. Dahin zu gehen war eine wirklich gute Entscheidung. Die Kellnerin liebte offensichtlich ihren Job, sie war flink, nett und freundlich und so dauerte es nicht lange bis wir jeder ein leckeres Omelette (mit bzw. ohne Fleisch und mit ganz viel Gemüse) sowie Toast und eine Schale mit Obst sowie Kaffee und Wasser vor uns hatten. Eine hervorragende Stärkung, um die heutige Etappe anzugehen. Vom Restaurant aus bogen wir rechts in eine Nebenstraße ab, um dem Verkehr auf der Bundesstraße auszuweichen, und fuhren einen kleinen Bogen, um dann wieder hinter der Bundesstraße rechts in den Trail zu fahren. Es ging noch eine ganze Weile auf unbefestigtem Weg entlang, aber nicht mehr ganz so wild wie gestern Nachmittag. Insgesamt fuhr es sich herrlich, auch wenn es ab und an etwas holprig war. In Willimantic ging es ein Stück über die Straße, so sahen wir etwas vom Ort. Größtenteils fuhren wir neben dem Willimantic River entlang. Wir kamen auch am Connecticut Eastern Railroad Museum vorbei. Es hat aber nur Samstag geöffnet. Aus der Ferne konnten wir zumindest ein paar Waggons und Loks sehen. An der Kreuzung zwischen Airline und Hop River Trail trafen wir zwei Radler, mit denen wir uns eine Weile über unsere Route unterhielten. Der eine erzählte, er sei Mitglied der Greenway Association, die sich um die Einrichtung von autofreien Radwegen kümmert und auch den East Coast Greeway geplant hat und umsetzt. Er hat von Radfreunden gehört, dass gerade zwei Radler den Greenway abfahren, das seien wohl wir. Wir waren beeindruckt. Die beiden gaben uns noch einige Tips: wir sollten in New Haven bei Sally’s Pizza essen und in Washington das Spy Museum besichtigen. Wir sagten ihnen noch, wie begeistert wir von der Route und den vielen Trails sind. Wir haben es wohl richtig gemacht, denn der nördliche Teil des East Coast Greenways ist schon wesentlich besser entwickelt. Im Süden gibt es noch viele Strecken, die über stark befahrene Straßen führen, aber bis Washington führe es sich wirklich gut. Wir werden sehen.

Der Hop Trail war ebenso schön wie der Airline Trail. Wir fuhren sogar durch einen kurzen Tunnel. Es ist beeindruckend welche Arbeit in die Gestaltung der Trassen geflossen ist, denn manchmal ging es links und rechts neben dem der Trasse ziemlich tief nach unten. So konnten wir ermessen, welche Anstiege uns dank dieser Trails erspart geblieben sind.

Später führte der Weg dicht an der Autobahn entlang, er war sehr gut ausgebaut und beeindruckte durch die Wegführung sowie Straßenüber- und Unterquerungen. So langsam bekamen wir auch Hunger. Da das Wetter schön war, entschieden wir uns für ein Picknick. Im Highland Park Market, einem hervorragend sortierten Lebensmittelgeschäft mit reichhaltigem Angebot holten wir uns Salat, Brötchen und Käsetörtchen. Direkt gegenüber befand sich ein kleiner Park mit einem Läuferdenkmal für Joseph P. McCluskey, „Manchester’s Greatest Runner“, der 1932 eine Bronzemedaille bei Olympia gewonnen hatte, ein ausgezeichneter Ort für ein Picknick. Nun dauerte es auch nicht mehr lange bis wir zum ersten Mal die Skyline von Hartford, der Hauptstadt von Connecticut erblickten. Unsere Route führte nun auf der Straße durch East Hartford. Dabei kamen wir an einem Werk des Triebwerkherstellers Pratt & Whitney vorbei, wo schon seit 4. Mai für die Erhaltung der Arbeitsplätze in Connecticut gestreikt wird. An jeder Kreuzung stand eine kleine Gruppe Streikender, die mit Plakaten und Schildern auf ihre Situation aufmerksam machen. Einige vorbeifahrende Autos hupten als Zeichen der Unterstützung.

Als wir gerade auf den River Trail einbiegen wollten, mussten wir leider feststellen, dass er wohl wegen Hochwasser gesperrt ist. Zum Glück gab es einen kleinen Pfad weiter oben entlang, den wir nutzen konnten. Ein umgebrochener Baum lag quer über dem Weg, aber glücklicherweise konnten wir unsere Räder untendurch führen. Dann kamen wir doch noch zum River Trail und konnten die letzten 2 km in die Stadt wie geplant fahren. Wir kamen an einigen Denkmälern für Abraham Lincoln vorbei. Das erste war seinem Pferd gewidmet (wir stellten unsere Stahlrösser für ein Foto kurz daneben), später saß er selbst da und lud zum Gespräch ein. Er stammte aus einer Farmerfamilie und war harte Arbeit gewohnt. Später als Anwalt reiste er, wie es üblich war, durchs Land, um Leute vor Gericht zu vertreten. Er tat es aber nicht nur ein paar Jahre, wie die meisten seiner Kollegen, sondern 26 Jahre. Er war sehr erfolgreich, er hörte den Leuten zu und wusste um ihre Probleme. So erwarb er sich bei sehr vielen Respekt und Anerkennung. Außerdem war er ein guter Erzähler.

Wir überquerten nun den Connecticut River und kamen auf die Plaza. Hier sind Hotels, das Science Center und ein Congress Center untergebracht. Kurz davor befindet sich das Old State House. Überhaupt bietet Hartford eine interessante Mischung aus Alt und Neu. Das Wadsworth Atheneum ist das älteste Kunstmuseum der Vereinigten Staaten, leider ist es nur Mittwoch bis Sonntag geöffnet. Der Weg zu unserem Hotel führt durch den Bushnell Park, an den auch der Capitol Hill grenzt. Der Regierungssitz Connecticuts ist mit zahlreichen Türmchen und Türmen versehen und reich verziert mit goldener Kuppel. Bei seiner Einweihung 1879 waren wohl nicht alle begeistert. Für uns waren es nun nur noch ein paar Pedaltritte bis zu unserem Hotel. Die Räder haben wir im Aufzug mit aufs Zimmer genommen. Abendessen waren wir heute im „The Russels“, einem Restaurant mit echter karibischer Atmosphäre. Das Essen schmeckte hervorragend. Es war auch gut besucht. Es kamen einige Familien, deren Kinder wohl gerade ihren Abschluss an der Eastern University gemacht hatten, denn sie trugen noch die typischen Umhänge und Kopfbedeckungen („Doktorhüte“).