Hartford – Southington (76 km)
Nach dem Frühstück bepackten wir unsere Räder im 4. Stock und Birgit nahm schon einmal den ersten Lift (der hier „Elevator“ heißt). Gestern waren wir fast gleichzeitig oben, aber heute war wohl nur ein Fahrstuhl in Betrieb; denn immer wenn ich einsteigen wollte, war schon jemand drin – ich kam mir vor wie in einer Comedy-Show. Irgendwie kam ich doch noch unten an, konnte die Schlüsselkarten abgeben und dann fuhren wir los. Wir fuhren schnurstracks zum Mark Twain House and Museum, das ab 09:30 geöffnet hatte. Das Haus ist nur mit Führung zu besichtigen, und online sah es so aus, als ob dies erst nachmittags wieder möglich wäre. Aber wir bekamen noch Tickets für die General House Tour um 10:30 Uhr. Eine ältere Dame am Ticketschalter meinte, wir sollten unsere Räder mit Gepäck doch lieber nicht so stehen lassen, sondern lieber am Ticket-Schalter abstellen, wir könnten ja den Aufzug nehmen. Wir hätten die Räder getrost in der großzügigen Lobby des Museums lassen können, allein wir sollten das Gepäck abbauen, hinter dem Tresen hinterlegen und die Räder draußen am Fahrradständer anschließen. Hätten wir sie nur stehen lassen… So begann die Führung für 7 Personen mit 3 Minuten Verpätung – wegen unserer Fahrräder!
Zu Beginn fragte die Museumsführerin erstmal ab, woher die Besucher kommen und warum sie das Haus besichtigen wollten. Ein Paar kam aus Südkalifornien, bzw. die Frau eigentlich aus Peru. Ein Paar war aus Frankreich und Mark Twain war natürlich schon aus Kinder- und Jugendtagen bekannt. Ein Besucher kam aus San Francisco und er kannte natürlich Mark Twains Berichte vom kältesten Sommer in San Francisco.
Auf dem Weg zum Haus erfuhren wir die Vorgeschichte – von Samuel Langhorne Clemens wie auch des Grundstücks bevor das Haus hier entstand. Das Haus wurde glücklicherweise in den 1920er Jahren vor dem Abriss bewahrt.
Somit blieb fast alles original erhalten und man läuft durch das Haus, so wie Mark Twain und seine Familie es gesehen und darin gelebt haben. Mark Twain war nicht nur ein guter Erzähler mit seinen Werken, von denen die bekanntesten wie z.B. Tom Sawyer und Huckleberry Finn hier entstanden sind. Er war auch ein toller Geschichtenerzähler: So konnte er Gäste den ganzen Abend lang mit seinen Erlebnissen unterhalten – und die Kinder lauschten heimlich auf den obersten Treppenstufen des großen dreistöckigen Hauses. Wenn eine bestimmte Geschichte kam, dann wussten die Kinder: jetzt sind sie beim Braten angekommen! Aber auch den Kindern wusste er spannende Geschichten zu erzählen. Dafür nutze er als Inspiration Bilder und Einrichtungsgegenstände wie ein geschnitztes Wappen, die blaue Dame usw., die er in die Geschichten einbaute. Und davon gibt es reichlich. Das Foyer und Treppenhaus sind relativ dunkel im neogothischen Stil gehalten. Einige Architekten und Künstler haben hier ihre Spuren hinterlassen. Die Schnitzereien erinnern nicht zufällig an eine Kirche, denn der Architekt, dessen Vater Bischof war, hatte hautpsächlich Kirchen gestaltet. Aber auch die anderen Räume sind interessant mit Tapeten gestaltet. So tummeln sich an der Wand die Bienen inmitten von Blättern und Blüten; and der Decke aber hängen sie in einem kunstvollen Spinnenetzmuster. Auch der Arbeitsplatz Mark Twains ist zu sehen – von der Raummitte abgewandt steht der Schreibstisch in einer Ecke an der Wand. Warum? Damit der Schiftsteller nicht der Versuchung erliegt, den hinter ihm stehenden Billardtisch für eine Partie zu nutzen.
Und so gibt es viele Geschichten, die zu diesem Haus und seinen Bewohnern zu erzählen sind. Wer sich einen Eindruck von der Einrichtung und Gestaltung des Hauses machen will, kann sich das ganze Haus auch in einer virtuellen Tour anschauen, hier: The Mark Twain House, Hartford, CT USA. Fotografieren ist den Besuchern nämlich untersagt.
Nach der Besichtigung gingen wir wieder zurück zum Ticketschalter, um unser Gepäck zu holen, schauten aber noch einmal im Museumsshop vorbei. Auf dem Weg dahin steht ein Käfig mit eingesperrten und angeketteten Büchern und eine Tafel daneben liefert die Erklärung dazu. Es geht um die bedauerliche Zunahme der Buchzensur, mit einem rasanten Anstieg in 2023, der bereits in 2021 eingeleitet wurde. Hauptinitiatoren von Buchzensur sind Kunden (28 %), Eltern (24 %) und Initiativen oder Interessensgruppen (21 %) – laut Statistiken der American Library Association. Bekanntlich hat Mark Twain selten ein Blatt vor den Mund genommen…
Ein Spruch von ihm könnte quasi auch als Motto über unserer Tour stehen: „Get a bicycle. You will not regret it. If you live.“ (Schaff‘ dir ein Fahrrad an. Du wirst es nicht bereuen. Wenn du es überlebst.)
Ja und wir mussten ja noch aus Hartford heil herauskommen, auf nicht wenig befahrenen Straßen.
Für das Haus von Mark Twains Nachbarin, Harriet Beecher Stowe, der Autorin von „Onkel Toms Hütte“ mit angeschlossenem Dokumentations- und Veranstaltungszentrum vor allem zu Bürgerrechts- und Antirassismusfragen, hatten wir leider keine Zeit mehr. Wir waren ja noch nicht weit gekommen und es lagen noch etliche Kilometer zwischen uns und unserer gebuchten Hotelunterkunft.
Einmal landeten wir vor einem Tor zu einem großen Lagergelände, wo viele große Trucks ein- und ausfuhren. Laut Karte sollte hier der East Coast Greenway durchführen, aber wir kehrten lieber um und umfuhren das Gelände. Wir passierten Tarriffville (Lieblingsort des GröPraz? – aber die Regenbogenfahne im Ort dürfte ihm nicht gefallen).
Zum Glück kam irgendwann ein separater Radweg, der nach einem weiteren Straßenabschnitt auf den Farmington Heritage Trail führte, wieder eine umgewandelte Eisenbahntrasse („Rails to Trail“), auf dem wir gut voranrollen konnten.
An der Strecke auf einer Brücke dann eine große gelbe Inschrift „Say their names“ und gegenüber die Namen vieler Opfer von Polizeigewalt. Nach den Protesten in Ferguson 2014 als Reaktion auf den durch die Polizei verschuldeten Tod von Michael Brown Jr. hatte der US-Congress gesetzlich verfügt, dass Todesfälle im Polizeigewahrsam zu dokumentieren und zu berichten sind., so der Erläuterungstext an der Brücke. Bis dato gibt es aber noch kein Berichtssystem zur Aufbereitung der Daten…
Nach etlichen weiteren Kilometern konnten wir inzwischen eine Pause und etwas zu essen vertragen. Wir hielten an einem ehemaligen Eisenbahngebäude, davor ein Güterwaggon, bei Plan B Burger. In gemütlich-uriger Atmosphäre mit guter Musik – auch „der Boss“ war dabei – genossen wir einen echt leckeren Burger und teilten uns noch ein ordentliches Stück Schoko-Erdnussbutterkuchen.
Die Energie sollten wir noch brauchen. Auch wenn wir wreiter auf der Bahntrasse rollen konnten, mit vielen reizvollen Ausblicken auf den Farmington River, aber auch kleine Flüsschen und Feuchtgebiete, zog es sich ganz schön hin. Bei einer Trinkpause wurden wir von einem Mann auf Rennrad angesprochen und wir kamen ins Gespräch. Er stammt aus der Gegend, war aber gerade einige Zeit in Florida unterwegs gewesen, auf schönen flachen Strecken, wo sich nur gelegentlich ein Alligator sonnte, und war dadurch fast schon ein wenig verwöhnt. Zu unserer weiteren Strecke sagte er nur, dass sie schon anstrengend sei, weil der Farmington Trail noch noch nicht durchgängig fertig sei. Und so war es auch: durch das ausgedehnte Southington mussten wir im Zickzack – auch manche Steigung war dabei – ehe wir das letzte Stück versöhnlich auf dem Trail fahren konnten. Endlich im Hotel angekommen, nahmen wir noch einen kleinen Imbiss (Cracker, Tomaten, Käsewürfel, Erdbeeren und Blaubeeren + ein alkholfreies Bier) zu uns, was wir unterwegs bei Whole Foods eingekauft hatten.
Übrigens: Ein zufällig von mir am Trail fotografiertes Schild zeigte an, dass die Patenschaft für diesen Abschnitt der Ski- und Fahrradklub Berlin übernommen hat.