Ravenhall – Bridlington

62,5 km

Ein Zimmer mit Meerblick hat schon was, vor allem wenn das Wetter so toll ist wie heute. Doch lange konnten wir uns nicht aufhalten, denn obwohl wir noch genügend Zeit haben, um die Strecke bis Hull bis Dienstag Abend zu schaffen, müssen wir doch noch einige Kilometer und Berge überwinden. Während Steffen sich um den Checkout kümmerte, nutzte ich die Gelegenheit, um noch ein paar Fotos zu schießen und das auf einem Bild an der Rezeption dargestellte Castle zu suchen, auf dessen Gelände offensichtlich das heutige Hotel errichtet ist. Viel ist nicht mehr erhalten, aber ein paar beeindruckende Mauern auf den Felsen und zahlreiche Zinnen sind zu sehen. Direkt vorm Hotel ging der Cinder Track weiter, also würden wir auf einem schönen Weg bis ins Zentrum von Scarborough radeln – dachten wir. Erst hätten wir beinahe die falsche Straße genommen, doch ein Mann rief uns zu „wrong way“, und kam noch einmal zu uns rüber, als wir noch kurz auf die Karte schauten und erklärte, dass ein Teil des Tracks gesperrt sei, da Starkregen ein Stück des Weges praktisch weggespült hat; eine Umleitung sei ausgeschildert, aber man könne auch langsam an der Stelle vorbeigehen. Wir sahen uns die Umleitungskarte am Eingang zum Track an, aber wurden nicht so recht schlau daraus. So beschlossen wir erstmal loszufahren. Zunächst kamen wir gut voran. An einem Gatter hing ein Warnschild (unebene Oberfläche), aber das kannten wir ja schon von gestern. Nach ein paar Kilometern wurde der Weg tatsächlich immer abenteuerlicher und schließlich sahen wir auch Absperrgitter. Diese waren jedoch zur Seite geräumt, man konnte passieren. Der Regen hatte wirklich ganze Arbeit geleistet. Der Wegbelag war teilweise soweit weggespült, dass man erkennen konnte, wo früher die Bohlen der Eisenbahn gelegen haben. Der Cinder Track verläuft nämlich auf der alten Eisenbahnlinie von Whitby nach Scarborough. Links und rechts konnte man zwar ganz vorsichtig fahren oder besser sein Rad schieben. Man musste höllisch aufpassen. Trotzdem ist mir das Hinterrad weggerutscht und ich bin gestürzt. Zum Glück ist bis auf paar weitere Schrammen und blaue Flecke am Schienbein nichts passiert. Schließlich wurde der Weg auch wieder normal und wir konnten weitere Kilometer durch den Wald fahren. Später gab es noch eine Vollsperrung des Wegs wegen Bauarbeiten. Die Umleitung über die Hauptstraße war nicht schön, aber zum Glück auch nicht lang. Nun konnten wir aber wirklich bis Scarborough durchfahren. Dort fuhren wir erstmal in Richtung Castle. Ganz hoch auf die Burg wollten wir nicht, aber auch so hatten wir unterwegs tolle Ausblicke auf die Nordbucht. Vor dem Schloss befindet sich auch die St. Mary Church mit Friedhof und dem Grab von Anne Brontë, der jüngsten Brontë-Schwestern, die hier im Alter von nur 28 Jahren verstorben ist. Kennern der englischen Literatur ist sie als Autorin von Agnes Grey und Wildfell Hall bekannt.

Wir fuhren nun durch die ruhige und ganz hübsche Altstadt an den Hafen. Hier wurden wir von dem ganzen Touristenrummel fast erschlagen. Wir sahen uns nur an, und es war klar: weg hier. Zwischen Fahrbahn und Fußweg wechselnd erreichten wir langsam das Ende der Strandpromenade und die alte Kurhalle, in der sich heute ein Restaurant befindet. Wir fanden einen Platz draußen, wo wir jeder einen Salat und alkoholfreien Cider genossen. Ein Stückchen weiter befand sich die Standseilbahn von der Esplanade zum Strand. Ich hatte mir schon überlegt, wie wir uns durch den Park hoch zur Esplanade über Serpentinen quälen. Doch wir hatten Glück: die Standseilbahn nahm uns mit samt den Rädern mit und wir mussten nur den Preis für 2 Personen bezahlen – wie toll. So hatten wir einige Höhenmeter gespart, aber der weitere Weg war trotzdem nicht ohne. Ich dachte ich seh‘ nicht recht, als da auf einmal ein Schild stand mit 16 Prozent Steigung für die nächste ¾ Meile (ca. 1200 m). Nach ein paar hundert Metern schnaufte ich wie eine alte Dampflok. Da war klar, hier muss ich schieben. Irgendwann war auch dieser Anstieg geschafft und dann rollten wir ein paar Kilometer abwärts. Es gab noch einige Steigungen, aber so schlimm wurde es nicht mehr. Die Strecke zog sich, oder vielleicht ließen auch einfach nur die Kräfte nach, nach diesem Auf und Ab. So entschlossen wir uns bis Bridlington zu fahren. Einen Zeltplatz gab es nicht, und das Angebot bei booking.com war auch sehr überschaubar, schließlich ist Hochsaison. Wir fanden schließlich ein 2-Bett-Zimmer ohne Frühstück. Nun wussten wir, wieweit wir noch zu fahren hatten. Wir blieben auf dem Radweg und kamen bei Sewerby wieder an die Küste. Nun konnten wir die letzten Kilometer gemütlich auf der Strandpromenade fahren. Wir setzten uns noch auf eine Bank, um das Meer und die Stille zu genießen, ehe es in den Trubel des Badeortes ging. Unser Hotel war schnell gefunden. Wir verstauten die Räder in der Garage, machten uns frisch (nachdem wir mit den Tücken britischer Sanitärinstallationen gekämpft hatten – das Thema bietet Stoff für einen eigenen Beitrag) und suchten nach einem Pub fürs Abendessen. Auf der Fahrt zum Hotel hatten wir schon was gesehen, wir mussten es nur wiederfinden. So landeten wir bei The Prior John der Kette Wetherspoon, einem riesigen, offensichtlich sehr beliebten Pub. Wir wurden nicht enttäuscht. Das Essen war reichlich und schmeckte sehr lecker.