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Gletsch – Brig (59,33 km)
 
Nach einer guten Nacht ohne Gespenster, Vampire und Schloss- bzw. Hotelgeister und einem leckeren Frühstück schwangen wir uns gleich auf die Räder. Der erste Abschnitt begann wie der letzte gestern aufgehört hat, über steile Sepentinen ins Tal. Da außer uns kaum jemand auf der Straße war, konnten wir die Abfahrt auch richtig genießen. Nach 6 km in der Gemeinde Oberwald begann dann auch der separate Radweg, also weg von der Straße. Zwischen Rhone und Eisenbahnlinie fuhren wir gemütlich durch das Tal. Ab und an sahen wir an den Hängen eine Ortschaft, ein paar Häuschen, eine Kapelle oder auch eine Kirche. In der Ferne leuchteten die schneebedeckten Gipfel in der Sonne. Der Radweg war mal asphaltiert, mal geschottert und manchmal auch nur ein einfacher Waldweg. Ab und an entfernte er sich von der Rhone und da ging es auch schon wieder bergan. Wir kamen durch Reckingen, ein Ort wo schon Römer und Kelten gesiedelt hatten und der 1266 zum ersten Mal urkundlich erwähnt wurde; es gibt sehr alten verwitterte Holzhäuser und natürlich auch eine Kirche. Als wir hineinschauten, wurde gerade Orgel gespielt. So wirkte die reichverzierte Kirche noch stärker. Unser Weg führte uns nun bergauf und ab durch den Wald. An einer Stelle war offensichtlich eine Lawine abgegangen. Inmitten von Baumstämmen, Ästen, Erde war sogar noch richtig viel Schnee.
Wir kamen an Niederwald, dem Geburtsort von Cäsar Ritz, dem Begründer der gleichnamigen Luxushotelkette vorbei. Ein paar Kilometer weiter lag Mühlebach, der Ort mit dem ältesten Dorfkern in Holzbauweise in der Schweiz. Einige Häuser datieren bereits von Ende des 14. Jahrhunderts. Wie es sich wohl in einem Haus mit so viel Geschichte leben mag? Das nächste Dorf war Ernen, bekannt auch als Musikdorf, denn seit 1974 gibt es hier Meisterkurse für Pianisten und Kammermusiker. Doch auch die Literatur kommt nicht zu kurz: Donna Leon, die beerühmte Krimischriftstellerin gibt hier ebenfalls Kurse. Auch der Dorfplatz mit seinen historischen Gebäuden ist sehenswert. Wir nutzten die Gelegenheit, um etwas für unser Mittagspicknick einzukaufen. Außerdem mussten wir uns hier entscheiden: die Originalroute über Ausserbin mit beachtlichen Steigungen und Gefällen noch dazu auf Wald- und Felsboden oder die etwas kürzere Alternativroute auf der relativ stark befahrenen Straße. Wir wären ja nicht wir, wenn wir nicht die Herausforderung annehmen würden, also ging es erstmal wieder ordentlich bergan, zum Glück aber auf einer wenig befahrenen asphaltierten Straße. An der Twingi-Schlucht verließ der Radweg die Straße und es ging in steilen Serpentinen auf einem unbefestigten Weg steil hinab in die Binnaschlucht. Da muss man Vertrauen in seine Bremsen haben. Es ging auch alles gut, doch dass letzte steile Stück zur Römerbrücke stiegen wir dann sicherheitshalber ab. Es war schon sehr beeindruckend, auf diesem historischen Weg durch die wildromantische Schlucht zu fahren. Allerdings ließ die Begeisterung schnell nach, als wir auf der anderen Seite der Brücke unsere Räder wieder ein ganzes (gefühlt: endloses) Stück nach oben schieben mussten. Nun hatten wir uns aber wirklich ein Picknick verdient. Glücklicherweise kamen wir auch bald an eine Kapelle mit zwei Bänken davor und einem Picknicktisch mit zwei Bänken. Diese waren bereits von einer Familie mit zwei kleinen Kindern belegt. So setzten wir uns auf die Bank vor die Kapelle und genossen unser Essen mit Blick ins Tal. So gestärkt ging es nun weiter, größtenteils bergab mit nur zwei kleinen Anstiegen. Kurz vor Mörel ging es noch einmal über Septentinen steil hinab ins Tal. Nun mussten auch wir für die nächsten ca. vier Kilometer auf der stark befahrenen Hauptstraße radeln. Doch es klappte ganz gut und so hatten wir bald wieder den Abzweig für den Radweg erreicht. Wir fuhren nun direkt an der Rhone, die hier im Wallis übrigens Rotten heißt, entlang. Sie ist hier auch schon ein ziemlich starker Strom. Wir kamen an Naters vorbei, dem "Geburtsort" der Schweizer Garde. Kein Ort stellte je mehr Gardisten für den Vatikan. Wir fuhren über die Rhone nach Brig. Inzwischen blies uns heftiger Gegenweg ins Gesicht, der Himmel hatte sich vor allem in Richtung unseres anvisierten Ziels Visp mächtig verdunkelt und ein Sturm zog auf, so beschlossen wir, hier zu bleiben und Quartier zu nehmen. Eine gute Entscheidung, denn es regnete ganz ordentlich. Doch zum Glück verzog sich der Regen bald und wir konnten noch einen Rundgang durch das hübsche Städtchen mit seinen engen Gassen machen. Das Wahrzeichen der Stadt ist das Stockalperschloss mit seinen vergoldeten Zwiebeltürmen und einem wunderschönen Arkadenhof, der leider nicht zugänglich war, da hier gerade die Vorbereitungen für eine am Wochenende stattfindende Opernaufführung liefen. Doch wir konnten durch den Garten bummeln und sogar auf einen Miniaussichtsturm klettern. Oberhalb des Schlosses gibt es noch einige Kirchen und auch ein Kloster St. Ursula, das heute eine Seniorenresidenz und ein Gästehaus beherbergt. Beeindruckend ist auch die Saltinabrücke, die nach den ziemlich verheerenden Hochwasser von 1993 als Hubbrücke neu konzipiert wurden. Natürlich gönnten wir uns auch ein leckeres Abendessen im Restaurant Angleterre, dessen Küche entgegen dem Namen allerdings nichts Englisches bietet, sondern unter anderem Cordon Bleu, das der Legende nach in einem Briger Restaurant erfunden wurde, wo wegen einem Gästeansturm das Schweinfleisch mit Schinken und Käse "verlängert" werden musste. Ob wahr oder erfunden: in Brig wie vielerorten in der Schwiez wird diese Spezialität in vielen Varianten angeboten.