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Ustronie Morskie – Kłos [52 km]

Nach einer sehr erholsamen Nacht und einem guten Frühstück starteten wir eine der kürzeren Etappen, auf denen wir uns etwas mehr Zeit nehmen konnten… dachten wir.

Zunächst ging es wieder ans Meer, allerdings war der Radweg, den wir uns mit wenigen Spaziergängern teilten, hier viel schmaler. Dann ging die Route durch den Wald. Ab und zu gab es Durchgänge, die den Schutzstreifen durchbrachen und bis zum Meer hinunterführten. An einer solchen Stelle entschlossen wir uns eine kleine Pause einzulegen und mal alle Sinne auf das Meer zu richten: das Blau, das Rauschen und die Seeluft. Ein einsamer Angler saß am Strand und hatte drei Angelruten aufgestellt; ob mit Erfolg konnten wir nicht erkennen.

Auffallend war, dass sehr viel neu gebaut wurde: Ferienhäuser, aber hauptsächlich moderne großzügige Appartmentblocks mit Ferienwohnungen. Allerdings lag alles hinter der Promenade, die meist durch einen bewaldeten oder bewachsenen Schutzstreifen vom Sandstrand getrennt war.

Zwischen den Orten war auf den Wegen weniger los, auch wenn einige Radfahrer unterwegs waren.

In Gąski waren viele Menschen unterwegs, besonders rund um den Leuchtturm aus dem Jahr 1878. Hier stiegen wir 226 Stufen bis zur Außenplattform hinauf, von der aus man nicht nur einen weiten Blick Richtung Meer und Landschaft genießen konnte, sondern auch in das „Herz“ des Leuchtturms, die mächtige Fresnell-Linse mit 1,2 m Durchschnitt, sehen konnte. Das Licht ist bis 23,5 Seemeilen entfernt zu sehen.

Am Ortsausgang entdecketen wir am Wegesrand ein Kreuz mit Marienfigur mit Inschrift zu einer besonderen Fürbitte: Schütze uns vor dem Atom! Dieses inzwischen ferst installierte Kreuz geht auf die Zeit der Proteste gegen den Bau eines Atomkraftwerks zurück, das hier im Hinterland gebaut werden sollte.

Jetzt waren wir wieder auf dem ausgebauten Radweg und fuhren Richtung Mielno. Aber bevor wir wieder belebtere Gegenden erreichten, wollten wir doch einmal in die Ostsee springen. Außer zwei Anglern in großem Abstand, die mit Wathose direkt in der Ostsee fischten, waren wir fast die Einzigen am Strand. Aber trotz strahlend blauem Himmel und Sonnenschein kostete uns das Eintauchen in die „frische“ Ostsee doch einige Überwindung, aber wir haben’s gewagt. Auch der Angler war erfolgreich: er zog einen ordentlichen Aal aus dem Wasser! Weiter ging’s durch die nächsten Dörfer oder Badeorte mit etlichen Einkaufsmöglichkeiten und zweifelhaften Küstenattributen wie Fischer, Pirat und Piratenschiff. Wir querten den 16. Längengrad und passierten einen ehemaligen Bunker, der irgendwie in beiden Weltkriegen genutzt worden war. Dafür hatte man eine gute Verwendung gefunden: auf ihm und um ihn herum war ein Spielplatz angelegt, super! Kriegsschauplätze zu Spielplätzen!

Schließlich landeten wir in Mielno, wo einer historischen Begebenheit zufolge Doro auf dem Rückweg von einer Geschäftsreise mit Kollegen ein Fischbrötchen (oder so ähnlich) verzehrt hatte, was auch fotografisch festgehalten wurde. Über die Jahre hatte sich die Bebauungssituation am Strand aber inzwischen sehr verändert: ufernah waren nur edle Apparmentblocks, Hotels, Cafés und Eisstände zu finden. Die gesamte Imbiss- und Touri-Gastronomie war (zu Recht) ins Hinterland verlagert worden. So aßen wir im Freiluftbereich des Lokals „Welt der Fische“ das Übliche: Dorsch mit Fritten (frytki) und Krautsalat. Aber auf unserem Weg durch den Ort konnten wir doch noch einige nette, alte Häuser sehen. Nächstes Ziel war Koszalin; durch diese Großstadt mussten wir „unfallfrei“ durchkommen und nebenbei noch eine Fahrradwerkstadt finden, die endlich die gebrochene Speiche an Doros Rad ersetzen würde. Nach den geruhsamen Abschnitten entlang der Küste wurde es nun anstrengend: obwohl es einen guten getrennten Radweg neben den Hauptverkehrsstraßen gab, war der zunehmende und dann ununterbrochene Autoverkehr sehr anstrengend. Unsere Aussicht auf ein Stück ruhigeren Weges durch die Stadt am Fluß entlang wurde durch eine Brücken-Großbaustelle zunichte gemacht. Wir mussten umständlich ausweichen. In der Stadt gab es meist gut gekennzeichnete Fahrradwege und -überwege; an letzteren hielten die Autofahrer auch wirklich an und ließen uns queren! Ein schönes Wegstück führte durch einen Park mit einer modernen Freilichtbühne (als nächste Veranstaltung war ein Stand-Up-Kabarett-Festival angekündigt), Auf unserem Weg durch die Stadt entdeckten wir flüchtig den einen oder anderen Straßenzug mit alten Gebäuden um die Jahrhundertwende des 18./19.Jh, den Müllerpalast aus dem 19. Jh. und einige mondäne Villen. Der Fahrradladen war ein Reinfall: hier lag die Priorität offensichtlich auf dem Verkauf und der Nachrüstung teurer Trend-Räder, was anscheinend Nothilfe für durchreisende Radler ausschloss (O-Ton: „Reparatur dauert drei Tage, oder halt nicht reparieren“). Naja, haben wir anderswo auch schon mal anders erlebt.

Vielleicht könnte ja der Besuch des heiligen Góra Chełmska (Gollenberg) sich positiv auf die Durchhaltefähigkeit von Fahrradbauteilen auswirken. Wir radelten unverzagt noch weitere 25 m höher, nachdem wir bereits auf 123 m geklettert waren. Die Bedeutuung des Bergs als Wallfahrtsort nahm mit der Schenkung des Dorfes Köslin am Gallenberg 1214 durch Herzog Boguslaw II an die Prämonstratenser-Abtei und dem Bau einer Kapelle auf dem Berg seinen Anfang und hatte im 14. und 15. Jh. seinen Höhepunkt. Infolge der von den pommerschen Herrschern gestützten Reformation wurde dieser Standort geschleift und erstand erst beginnend 1972 wieder. Höhepunkt war die Einweihung durch Papst Johannes Paul II am 1. Juni 1991. Der Aussichtsturm aus dem Jahre 1888 fügt sich in das Ensemble des neu entstehenden Pilger- und Touristenzentrums ein. Nach dem anstrengenden Turmaufstieg über 143 sehr enge und steile Treppen bzw. Holzstiegen genossen wir nicht nur den Ausblick, sondern – wieder unten angelangt – auch einen Kaffee und ein Stück Kuchen.

Nach einer erfrischenden und erholsamen Abfahrt (von 141 m auf 24 m Höhe) langten wir an unserem Zielort an: dem „Gasthof“ in Kłos.

Das Haus liegt zwar direkt an der Fernstraße 6, ist aber sehr gemütlich und originell mit alten Möbeln und Antiquitäten sowie Zeichnungen und Bildern eingerichtet. Wir genossen zum Abendessen eine Vorsuppe und hausgemachte Pierogi und erfuhren Interessantes über einen polnischen Radler und Weltenbummler, der hier Stammgast ist. Seine letzte große Tour führte den 69-Jährigen (!) von hier (seinem Geburtsort) über Lübeck (wo er wohnt) nach Jerusalem.

Er ist auch gerade wieder zu Gast – vielleicht sehen wir ihn morgen beim Frühstück…