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Brae – Scalloway

56,43 km

Nach einem sehr leckeren Frühstück, es gab Rührei mit Räucherlachs aus der Region, daher hatte ich mich schweren Herzens gegen das Full Sottish Breakfast entschieden, machten wir uns auf den Weg. Die ersten Kalorien konnten wir schon vom Hotel hoch zur Hauptstraße verbrennen – aber das sollte nicht der einzige steile Anstieg bleiben. Da im Hotel schon einmal die Sonne in den Frühstücksraum geschaut hatte, konnten wir diesmal auf die Regensachen verzichten. Aber winddicht mussten wir uns schon anziehen, denn es blies ganz ordentlich, zum Glück zunächst nur ein kleines Stück uns entgegen. Ein letzter Blick von Weitem auf das Hotel am anderen Ufer und nun ging es lange an einem Meeresarm entlang Richtung Voe. Es ging auf der Haupstraße entlang bergan, aber obwohl der Wind eigentlich von Nord kommen müsste, blies er uns an mehreren Engstellen wie im Windkanal heftig ins Gesicht. Überhaupt änderten sich Wolken, Sonne und Lichtverhätltnisse fast im Minutentakt. Nachdem wir die langen Anstiege überwunden hatten, ging es hinter der Ortschaft am südöstlichen Ende des Wassers wieder bergab. Hier kreuzten wir wieder die Route, die wir auf unserer Fahrt in den „Hohen Norden“ genommen hatten. Ab jetzt ging es auf der Westroute weiter. Wir klettterten wieder auf über 100 m, vorbei am Loch Gonfirth und wurden mit traumhaften Ausblicken auf die „Fjorde“ und Inseln belohnt. Hier war die Straße einspurig mit vielen Ausweichstellen („Passing Places“). Nach einem der Anstiege legten wir auf einem Parkplatz für Wanderer erst einmal eine längere Pause ein und stärkten uns mit Keksen (die kleinen „Motivationshalte“ mit Studentenfutter bzw. Getrockneten Aprikosen erwähne ich jetzt nicht extra). Leider mussten wir passen, als nach dem nöchsten Anstieg ein Tearoom mit Selbstgebackenem lockte, blöder Fehler! Erst als die Ortschaft Aith in Sicht kam, ging es in einer wilden Schussfahrt bergab. Und schon ging es wieder hoch über den nächsten Landrücken, zu unserem Leidwesen auch noch mit fiesem Gegenwind, so dass wir wirklich nur noch bis zur nächsten Spitzkehre schieben konnten, wo wir wieder Rückenwind bekamen. Wir passierten wieder Tingwall und den Flughafen (diesmal auf der anderen Seite). In Veensgarth (nordisch für „Farm der Wikinger“) kreuzten sich die verschiedenen Routen des Radwegs Nr. 1, der gleichzeitig der Nordseeküstenradweg ist. Wir nahmen den Weg entland des Westufers des Loch of Tingwall. Eine Infotafel am Wegesrand klärte uns darüber auf, dass hier auf einer kleinen Landzunge (Ting Holm – ursprünglich eine Insel) im Loch über Verbrecher Recht gesprochen wurde und neue Rechtsvorschriften erlassen wurden („lawthing“). Gegen 1600 wurde die Tagungsstätte des Parlaments (Ting) aufgegeben. Ab 1602 tagte Shetlands oberstes Gericht auf Scalloway Castle. Dorthin, in die alte Hauptstadt der Shetlands, waren wir ja gerade unterwegs und da wir zeitig genug da waren fuhren wir noch direkt zur Burg, die von Earl Patrick Stewart in Scalloway begründet wurde. Das Scalloway Museum hatte gerade um 16.00 Uhr geschlossen, aber das Tor zur Burg war noch nicht verschlossen. Es standen nur noch die Mauern, aber man konnte noch die Lagerräume, die Küche und die oberen Kammern betreten. Einige Infotafeln informierten über die Stewarts, die in keinem guten Ruf standen, obgleich Patrick Stewart das alte Shetländische Recht respektierte, was aber einigen Großgrundbesitzern, die keine Vorteile daraus ziehen konnten, ein Dorn im Auge war. Patrick wurde später in Edinburgh hingerichtet und das eigene Recht der Shetland und Orkney Islands abgeschafft.Während der Besichtigung des Castles wurden wir von einem freundlichen älteren Herren „überrascht“, der Museumswärter, der uns bat, nach unserem Rundgang abzuschließen und den Schlüssel am Museum einzuwerfen, aber bitte niemanden einschließen. Wir versprachen darauf zu achten, dass die Burg nicht aus Versehen noch um eine Attraktion reicher würde, nämlich Schlossgepenster. Und es waren wirklich noch weitere Besucher unterwegs: eine kleine Gruppe, die irgendwie Niederländisch sprachen, aber irgendwie auch nicht – Touristen aus Südafrika, wie sich herausstellte. Wir übrgaben den Schlüssel und wiederholten brav die Instruktionen, dann machten wir uns auf den Weg zum Scalloway Hotel, wo ich am Morgen vor der Abfahrt aus Brae telefonisch das letzte Doppelzimmer reserviert hatte. Ich reservierte gleich für 18.15 Uhr im Resaturant, wo wir uns ein hervorragendes 3-Gänge-Menü gönnten, schließlich hatten wir unterwegs nur von unseren eigenen Snack-Vorräten gelebt. Zusätzlich zum „Gruß aus der Küche“ vor der Vorspeise gab es auch vor dem Hauptgang einen „Palate Cleaner“ (Gaumenputzer) – ein Grapefruit-Sorbet.

Da noch die Sonne schien, zogen wir uns „windfest“ an und unternahmen noch einen kleinen Spaziergang entlang der Main Street mit Blick auf Hafen und Meer. Dabei stießen wir auf ein kleines Denkmal: oben auf einer Säule ein Fischerboot aus Bronze mit norwegischer Flagge, unten am Sockel unter Inschrift „Alta for Norge“ eine Liste mit Namen. Das Denkmal erinnert an den sogenannten „Shetland Bus“, ein regelmäßiger Pendelverkehr mit Fischerbooten, über den norwegische Widerstandskämpfer sowie Waffen und Material ins von den Deutschen besetzte Norwegen und Flüchtige nach Shetland gelangten. Als das neutrale Norwegen 1940 überfallen wurde, flüchtete eine ganze Flotte kleiner Fischerboote gen Westen. Einige erreichten die Faröer, andere die Orkneys oder das schottische Festland. Für viele war aber Shetland der erste und nächstgelegene über den Seeweg erreichbare Zufluchtsort. Und wenn man von Norwegen nach Shetland gelangen konnte, dann funktionierte das doch auch umgekehrt! So wurde zunächst Linna, dann Scalloway zu einem wichtigen Zentrum für den norwegischen Widerstand. Und wohl deshalb wurde das Scalloway Museum 2012 vom damaligen nowegischen Premierminister Stoltenberg eröffnet, woran eine Gedenktafel am Museum erinnert.

Da inszwischen ein heftiger Wind blies kehrten wir gesättigt und mit gestillter Neugier in unser warmes Hotelzimmer zurück.