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30.01.2016
Wellington
Nach einem guten Frühstück in einem netten Café unweit unseres Hotels strebten wir der "Waterfront" zu, genauer gesagt in Richtung Touristeninformation (i-Site). Wir wollten einen Stadtrundgang machen, der jeweils zur vollen Stunde starten sollte. Als wir dort ankommen, war es Schlag zehn Uhr und wir sahen eine größere Gruppe unweit der Information – offensichtlich hatte die 10-Uhr-Stadtführung bereits begonnen. Wie wir am Infoschalter erfuhren, war dies auch die einzige Führung heute, die nächste wäre dann erst morgen. Also kurz den Stadtführer gefragt, ob wir noch dazukommen können und bezahlt – Glück gehabt! Wir standen jetzt mit Blick auf das Stadtufer von Wellington, die "Waterfront". Der Stadtführer wies darauf hin, dass hier im Gegensatz zu ähnlich attraktiven Standorten kein Hilton-Hotel steht. Ebener Platz ist rar in Wellington, die Stadt ist seit ihrer Gründung stetig die Hänge hinaufgewachsen, im Tal wuchs sie in den 90er Jahren mit der Skyline aus Hochhäusern in die Höhe. Als durch die Verlagerung des Containerhafens Platz wurde auf dem Uferstreifen vor den Bürohochhäusern, hatten die Stadtväter ähnliche Pläne, aber die Bevölkerung, die ihre umfassende Beteiligung einforderte, hat dafür gesorgt, dass sich in den Docks Läden, Restaurants und Freizeiteinrichtungen ansiedeln konnten und dass das Leben im Hafenviertel so lebendig und bunt ist. Heute war es sogar noch bunter, weil anlässlich des traditionellen internationalen Rugby-Turniers "Great Seven" allerlei "Volk" unterwegs war, viele in sehr schrägen Verkleidungen, mit Sombrero, als Cowboy und Indianer, als Nonnen usw.
Bei der Ufergestaltung griff man natürlich auf die neuseeländischen Geschichte und der Mythologie der Maori zurück: Die Südinsel als Kanu, von dem aus Mauri die Nordinsel aus dem Meer fischte, symbolisiert als zwei Felsblöcke; die Welt der Meereslebewesen und Vögel, in ergrautem Holz (wie Treibholz) und hier und da Zitate neuseeländischer Dichter und Denker. Dann stehen wir wieder vor einer Gedenktafel. Eine Tafel an der Hafenmauer erinnert an die US-Marineinfanteristen, die im 2.Weltkrieg hier auf die Bedingungen des Pazifiks vorbereitet wurden und von hier aus ihren Weg zu den Kriegschauplätzen des Pazifik angetreten haben. An anderer Stelle, an der alten Hafenmeisterei erinnert eine Plakette an den Hund Paddy, der in den 30er Jahren im Hafen herumstromerte und den die Hafenarbeiter ins Herz geschlossen hatten. Als er dann starb, errichtete man aus einem übriggebliebenen Steinblock ein besonderes Denkmal, unten mit einem Wasserspender mit Schale für den Hund und oben einen Trinkbrunnen mit Schale für die Herrchen.
Die großen Straßen hinter der Waterfront, obwohl sie ein Stück entfernt liegen, heißen heute noch "Quay". Tatsächlich erfüllten sie auch anfangs diese Funktion, bis ein Erdbeben im Jahre 1855 das Ufer um 1,5 m anhob und so der Stadt Land schenkte. Auf dem Lambton Quay ging die Stadtführung weiter. Zunächst gab es aber eine besondere Überraschung: in einem ehemaligen Bankgebäude der Bank of New Zealand, das heute Shops und Cafés beherbergt, standen wir kurz vor 11 an vor einer Uhr mit einem leicht opaquen Zifferblatt. Die Uhr öffnete sich wie ein Blütenkelch und zu Musik und der Stimme eines Erzählers wurden nacheinander dreidimensionale Szenen aus der Stadtgeschichte gezeigt, bevor sich die Uhr wieder schloss. Zurück auf der Hauptstraße ging es an weiteren älteren oder auch nicht mehr vorhandenen Gebäuden wie dem alten Post Office vorbei. Auch hier wieder: Skulpturen. Eine auf den Fußweg gestürzte klassizistische Säule und der noch aufrecht stehende Säulenstumpf erinnerten an die Gewalt und Zerstörungskraft von Erdbeben. Weitere moderne Sklupturen an der Straße mochte man ignorieren, eine Skulptur auf einem kleinen grünen Platz vor einem Hochhaus fesselte unweigerlich den Blick auch vorbeieilender Passanten. Eine junge Frau in "Silber" trug ein Gewand aus Edelstahl. Entlang des feinen unmerklichen Faltenwurfs waren Buchstaben ausgestanzt, die sich zu Zitaten formten, Zitate aus Kurzgeschichten eben jener jungen Frau – Katherine Mansfield. Und eine weitere wichtige Frau in der Geschichte Neuseelands begegnete uns auf unserer Führung – bei sämtlichen Fußgängerampeln im Regierungsviertel trägt das grüne Licht die Silhouette einer Frau – Kate Sheppard, die mit ihrer Petition bewirkte, dass 1893 Neuseeland als erstes Land der Welt das Frauenwahlrecht einführte.
Und eine weitere interessante Geschichte aus dem politischen Leben Neuseelands: Vor den "Government Buildings", dem größten Holzbau der südlichen Hemissphäre (früher Regierungsgebäude, heute Juristische Fakultät der Victoria University) steht ein Denkmal für Peter Fraser, Premierminister Neuseelands 1940-1949, der 1916 zu einer einjährigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, weil er sich gegen die Wehrpflicht stellte, weil sie nur einem imperialistischen Krieg diene, anders als später im 2. Weltkrieg, wo es um den Kampf gegen ein faschistisches Regime ging. Der Kommentar des Stadtführers dazu: Neuseeland hat sich von einem militärisch besessenen zu einem sehr militärkritischen Land mit antinuklearer Ausrichtung entwickelt.
Am Ende der Stadtführung stand der Besuch von Old St. Paul's, einer kleinen durchweg aus Holz errichteten Kirche, die ursprünglich die anglikanische Kirche von Wellington war. Mit Errichtung einer größeren Kirche sollte Old St. Paul's aufgegeben werden, die staatliche Denkmalpflege trat an die Stelle der Kirche als "Betreiber". Die Kirche, die nicht entweiht wurde, steht als Veranstaltungsort allen Glaubensrichtungen offen und kann auch für Versammlungen und ander Zusammenkünfte genutzt werden.
Nach der sehr interessanten Stadtführung gingen wir in Richtung Parlament, wo der Besucherdienst stündlich kostenlose Führungen veranstaltet. Nach Sicherheitskontrolle, Anmeldung, Begrüßung und einem kurzen anschaulichen Exkurs über das parlamentarische System Neuseelands folgten wir der Dame von Besucherdienst in den großen Empfangssaal im "Beehive" (Bienenkorb), in dem das Büro des Premierministers und anderer Minister untergebracht sind. Vom Beehive gingen wir in das anliegende historische Parlamentsgebäude mit Banquettsaal, Bibliothek und dem Plenumssaal, in dem sich – wie im britischen Unterhaus – Regierung und Opposition tatsächlich gegenüber sitzen. Viele Rituale wie z.B. die Parlamentseröffnung erinnern an "Good Old Britain", und so wird das Parlament auch durch den Governor General in Vertretung der Queen (in seltenen Fällen durch die Queen selbst) eröffnet, einschließlich dem Verlesen der Regierungserklärung des gewählten Premierministers. Zum Abschluss des Rundgangs besichtigten wir noch den Ausschuss-Sitzungssaal des Native Affairs Committee, der reich mit traditionellen Maori-Motiven und Schnitzwerk verziert war, und das in den 90er Jahren modernisierte erdbebebengeschützte Fundament. Der hierfür entwickelte und angewandte Erdbebenschutz ist inzwischen Standard für Erdbebenschutz in der ganzen Welt.
Und weiter ging es durch die Stadt. Mit der Wellington Cable Car (einer Standseilbahn wie die in Dresden zum Weißen Hirsch) fuhren wir hoch zum Ausgangspunkt für den Botanischen Garten, der sich an den Hängen entlang bis hinunter zur City erstreckt.
Aber erst genossen wir in einem Café auf dem Berg Kaffee, Kuchen und den Ausblick auf Wellington und die Meeresbucht.
Der Botanische Garten bietet viele Wege mit unterschiedlichsten Kombinationsmöglichkeiten: Steingarten, Australischer Garten, Kameliengarten, Buschwanderweg, Farnweg, Rosengarten. So stiegen wir langsam aber sicher wieder zum Stadtzentrum ab und durchquerten vorher noch den ehemaligen Stadtfriedhof mit Gräbern aus der Gründerzeit, der mittlerweile Bolton Street Memorial Park heißt.
Nach einem weiten Bogen durch "Waterfront" Richtung Oriental Bay und zurück in die Innenstadt, suchten wir ein schönes Plätzchen zum Abendessen. Letztlich landeten wir wieder auf der Cuba Street, wo sich viele Lokale aller Art finden. Wir entschieden uns für "The Olive", wo wir im lauschigen Innenhof den Catch oder Fish of the Day – Snapperfilet – und ein Glas Wein genossen. Ein intensiver Tag in einer tollen Stadt mit einem würdigen Ausklang.