Anchor Bay – Jenner (69,27 km)

Nein, es geht jetzt weder um neureiche Multimillionäre aus dem einstigen Lande Lenins, noch um neuzeitliche Touristenscharen, sondern um die südlichste Kolonie Russlands in Amerika. Bereits 1809 landete Iwan Kuskow in der Bodega Bay (Filmfans bekannt aus dem Hitchcok-Thriller „Die Vögel“) um einen geeigneten Handelsplatz für die Russisch-Amerikanische Compagnie zu finden. Diese Gesellschaft handelte bisher in Alaska, die Hauptgeschäftsgrundlage – Seeotterpelze – war aber inzwischen knapp geworden. Die Pelzhändler suchten nach neuen Quellen. Russen waren die ersten Nicht-Indianer, die die Kashaya Pomo in dieser Region zu Gesicht bekamen. 1812 wurde nördlich der Bodega Bay Fort Ross errichtet, als Kern der Siedlung und zum Schutz vor den Spaniern, die weiter südlich in Kalifornien Fuß gefasst hatten. Bis 1841, als Russland die Kolonie verkaufte, weil sie sich zum Verlustgeschäft entwickelte, wurde Fort Ross (Ross steht für Rossija – Russland) immer weiter ausgebaut. Es wurden Obstplantagen angelegt, Getreide und Gemüse angebaut, teilweise versorgte Fort Ross sogar die Kolonien in Alaska mit Lebensmitteln. Außerdem wurde das russische Handwerk auch von den Kaliforniern geschätzt, es entwickelte sich ein reger Handel. Russische Schiffe verkehrten regelmäßig zwischen der kalifornischen Küste und Alaska – ein Ergebnis waren die russischen Seekarten von der Pazifikküste, auf die die Vereinigten Staaten selbst im 2. Weltkrieg noch zurückgriffen. Und die Russen errichteten die erste Windmühle in Kalifornien.

Dieses und weitere erstaunliche Fakten konnten wir heute im Fort Ross State Historic Park erfahren. Dieses Gelände ist eines der ersten historischen Sehenswürdigkeiten, die der Staat Kalifornien 1906 erwarb. Heute sind der restaurierte Holzwall mit Türmen, Lager- und Wohnräumen, die orthodoxe Kapelle und das einzig vollständig original erhaltene Gebäude, das Haus des Vorstehers der Kolonie Alexander Rotschew, zu besichtigen. Einmal im Jahr, im Juli gibt es ein großes Fest, bei dem die Kolonie wieder zum Leben erweckt wird, mit russisch-orthodoxem Gottesdienst zum Gedenken an diejenigen, die auf dem russischen Friedhof oberhalb des Forts ihre letzte Heimat gefunden haben.

Bis Fort Ross hatten wir bereits einige sonnige Kilometer hinter uns gebracht, nicht wenige auch mit einem ordentlichen Anstieg. Gerade leicht gewellte Abschnitte mit nur gelegentlichem Blick auf die Küste wechselten sich ab mit Berg- und Talfahrten, wo die Straße – nicht immer mit Leitplanke – dem „schnellen Weg zum Strand“ (Abgrund, Steilküste!) gefährlich nahe kommt.

Wochenende – also auch wieder etliche Radfahrer unterwegs. Immer wieder wurden wir heute von Jugendlichen auf Rennrad überholt, den einen oder anderen mit Ermüdungserscheinungen überholten wir dann später doch noch. Des Rätsels Lösung erfuhren wir dann am einzigen Laden weit und breit, am Stewards Point General Store: Sie alle gehörten zu einer Gruppe von Schülern aus San Francisco, die mit 2 Lehrern und einigen Freiwilligen eine 500-Meilen-Radtour durchs Land machten. Bei unserer Rast waren wir mit einer der Betreuerinnen ins Gespräch gekommen, die sich in 1-2 Jahren, wenn sie in Rente ist, in Deutschland auf die Spuren ihrer Vorfahren begeben will. Diese Erklärung war angesichts unserer verdutzten Gesichter wohl nötig, denn ihr „Eingeständnis“ in bestem amerikanischen Englisch sie sei auch Deutsche war schon überraschend. That’s America.

Wir gaben noch Tipps fürs Radeln in Deutschland, unsere E-Mail-Adresse und verabschiedeten uns. Bei einem Zwischenstopp an einem „bösen“ Berg wurden wir, wie ihre Schützlinge, von ihr mit Salzbrezeln versorgt.

Nach weiteren atemraubenden Anstiegen, atemberaubenden Ausblicken und schwindelerregenden Abfahrten erreichten wir Jenner, wo wir uns erst einmal von der Pazifikküste trennen.

Ich studiere zur Vorbereitung die Weinkarte, wobei Karte diesmal durchaus wörtlich, und zwar geografisch gemeint ist. Morgen geht es in Richtung „Wine Country“ Sonoma und Napa Valley.

 

PS: Pelikane gesehen, 1x rechtzeitig auf den Kameraauslöser gedrückt – watscheln nicht nur herum sondern fliegen ganz schön hoch und schnell!