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19.04.2017

Santa Barbara

Heute war ein Ruhetag angesetzt, genauer gesagt: ein fahrradfreier Tag. Nach dem guten "complimentary breakfast" mit Müsli, Bagel, Käse, Wurst, Kaffee, Orangensaft und einem leckeren Erdbeermuffin wartete die Stadt mit ihren Sehenswürdigkeiten auf uns. Im Stadtzentrum gab es einige historische oder originalgetreu rekonstruierte Gebäude aus der spanischen Kolonialzeit, erbaut im sogenannten Missionsstil. Auf dem Weg von der "Seafront" zum Zentrum passierten wir einige Baustellen und konnten uns ansehen, wie hier auch mit neuzeitlichen Mitteln stilgetreu gebaut wird. Einige Neubauten waren noch im Beton-Rohbau, andere zum Teil schon hell verputzt. Selbst Billigläden und ein Imbiss wie Subways passten sich architekonisch gut in das Straßenbild ein. Wir folgtem dem empfohlenen Spaziergang aus unserem Reiseführer, ab und zu bogen wir aber in einen verlockenden kleinen Innenhof mit Springbrunnen, Blumenrabatten und dem einen oder anderen Café oder Restaurant ein. Der erste historische Fixpunkt war der State Historic Park des Presidio von Santa Barbara. Das Presidio oder Fort wurde 1782 begründet, auch wenn bereits weit vorher Expeditionen in der Bucht anlandeten, die nach dem Tag der Anlandung Santa Barbara genannt wurde. Erst mit dem Presidio, das dem Schutz der spanischen Gebiete in diesem Teil von Alta California ("Oberkalifornien") nördlich der mexikanischen Kolonie diente, entwickelte sich hier eine Siedlung und Stadt. Kern der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung waren aber die Missionen, die Pater Junipero Serra in Kalifornien gründete. Die Mission Santa Barbara war die 10. in dieser Reihe; am 4.Dezember 1786, am Barbaratag wurde das Missionskreuz errichtet, die ersten festen Gebäude waren 1790 erbaut. Wir passierten aber erst die historischen weltlichen Gebäude, das County-Gericht (dort wurde wirklich gerade ein Mann im Gefängnisoverall in Ketten vorgeführt), das Lobero-Theater und die neueren – die Paseo Nuevo (eine Passage mit Läden und Gastronomie) sowie das eine oder andere Bankgebäude, dem man den "Nachbau" im Missionsstil wirklich nicht ansah. Bei einem von Palmen umgebenen unscheinbaren Gebäude mussten wir ob der unfreiwilligen Komik schmunzeln: Es wurde "Palm Reading" angeboten – was verraten uns also die Palmen über die Zukunft? (Natürlich wurde hier aus der Hand gelesen 😉 Am Santa Barbara Museum of Art verlockte uns das großformatige Werbebanner der aktuellen Sonderausstellung zu einem Besuch. "David Wiesner – the Art of Storytelling": Ein Junge, ganz vertieft in ein Buch, schwebte über einem bequemen Sofa, im Hintergrund ein dunkler Wald, durch den die Mondsichel hindurchscheint. Und die märchenhaften und genial aquarellierten Bildgeschichten waren den Besuch wert: Eine Wolkenfabrik über Manhattan, fliegende Frösche, von einem außerirdischen Hilfskoch versehentlich über der Erde abgeworfenes Riesengemüse in amerikanischen Landschaften, die drei kleinen Schweinchen mit einem Drachen als neuem Freund usw. – einfach genial. Nach diesen surrealen Erlebnissen mussten wir uns erst einmal real in einem kleinen Café stärken. Bis zur Mission war es ein längerer Spaziergang durch die Stadt und ruhigere Wohnviertel jenseits des belebten Zentrums. Die Mission Santa Barbara ist eine der am häufigsten besuchten in Kalifornien. Und sie ist noch Heimstatt für einige Franziskanerbrüder und eine aktive Kirchengemeinde. Nach einigen Erdbeben und Zerstörungen im 19. und 20. Jh. wurde die Mission originalgetreu wiederhergerichtet und veranschaulicht das Leben zur Gründungszeit, als die hier ansässigen Chumash christianisiert werden sollten. 1824 kam es zum Aufstand der Chumash gegen die immer schlechtere Behandliung und Bezahlung durch die spanischen Herrscher, wobei ein gewisser Jegrorow, angeblich ein russischer Deserteur aus der russischen Siedlung Fort Ross im nördlicheren Kalifornien, einer der Anstifter des Aufstands gewesen sein soll. Ob er sich wirklich ohne Wissen des russischen Gouverneurs dort herumtrieb, wer weiß. Schließlich spekulierte Russland auf eine Schwächung des spanischen Einflusses und wollte sich selbst in Kalifornien "breitmachen". Nach dem ausgiebigen Exkurs in die Vergangenheit machten wir uns auf zurück ins Stadzentrum zu einem frühen Abendessen. Als wir am Granada Theater vorbeikamen, lasen wir eine Ankündigung für den heutigen Abend. Im Rahmen eines Veranstaltungszyklus der University of California Santa Barbara "Arts & Lectures" sollte Isabel Allende lesen. Bestimmt seien noch Karten eine Stunde vor Beginn zu haben, machte man uns an der Theaterkasse Hoffnung. Wir könnten auch anrufen. Also gingen wir erst einmal mexikanisch (oder "südkalifornisch") essen und versuchten es dann telefonisch, wo wir leider nicht durchkamen. Also wieder die State Street hoch und an die Kasse – ja ganz oben gab es noch Plätze! Der Abend mit Isabel Allende war als Lecture, also als Vortrag und nicht als Buchlesung angekündigt. Und so stand diese kleine temperamentvolle Frau in den Siebzigern am Pult und las nicht sondern erzählte! Wie sie nach all den schlimmen Erfahrungen im Libanon, 1973 nach dem Putsch in Chile und den unruhigen Zeiten in Kolumbien und Venezuela begann, in Briefen an ihren sterbenden Großvater in Chile die Familiengeschichte wieder aufleben zu lassen. Der Großvater konnte die Briefe nicht mehr lesen, der Weltliteratur schenkte Isabel Allende so das "Geisterhaus", womit ihr Leben als Schriftstellerin ihren Anfang nahm. Das erste Buch hatte sie am 8. Januar begonnen, und so hält sie es auch mit allen weiteren Büchern, nicht so sehr aus Aberglauben, sondern um sich zu zwingen, aus dem Puzzle von Erlebten und Gehörten, von Begegnungen und Gesprächen eine Geschichte zu entwickeln. Das ist ihr wichtig, dass die Geschichten etwas mit der Wirklichkeit zu tun haben: sei es ein Flüchtlingsschicksal oder das Abenteuer und die Chance einer späten Liebe. Der Beginn einer Geschichte ist, als ob sie mit einer Kerze in der Hand einen dunklen Raum betritt und je weiter sie vordringt, desto mehr erkennt man in diesem Raum, formt sich alles zu einem Bild. Als Frau kann sie am besten über Frauen schreiben, besonders die, die aus dem Schatten treten. Ob das Feminismus ist? Wo Frauen unterrdrückt werden, kann sich die Familie, kann sich die Gesellschaft nicht richtig entwickeln, auf jeden Fall nicht zum Guten. Ein inspirierender und starker Abschluss eines ereignisreichen Tages … Nein, wir haben das nicht alles geträumt, der Schriftzug Isabel Allende auf der Titelseite von "The Japanese Lover" ist der Beweis…