Boston Tag 2
Für heute hatten wir einen längeren Ausflug in die Geschichte geplant. Aber auch Zeitreisende müssen sich erst einmal stärken und so gingen wir erst einmal zu unserem Startpunkt für die anschließende U-Bahnfahrt (Haymarket) und suchten uns im Boston Public Market eine Frühstücksgelegenheit. Wir entschieden uns für die „Bagels Guild“ und genossen frischgebackene Frühstücksbagel in 2 Varianten. Kaffee holte Birgit an einem anderen Stand. Frischgebacken war garantiert, weil in der einen Ecke gerade Teig für weitere Bagel geknetet wurde.
Mit der Red Line fuhren wir dann zur Station UMass (University of Massachusetts) und nahmen dort mit Studierenden und Angestellten den kostenlosen Shuttelbus zum Universitätscampus. Unser Ziel war die John F. Kennedy Presidential Library und Museum. Nach Sicherheitskontrolle und Ticketkauf – wir bekamen einen Aufkleber mit dem Präsidialen Siegel – tauchten wir ab in die Geschichte der 50er und Anfang der 60er…
Aber zunächst ging es erst einmal um den jungen John Fitzgerald Kennedy. Eine steile Karriere war ihm eigentlich nicht beschieden: in der Schule nicht gerade fleißig (außer wenn es um Geschichte ging), eher kränklich und schwächlich, wobei letzteres auch dazu führte, dass er nach Kriegseintritt der USA im 2. Weltkrieg mangels Tauglichkeit beinahe nicht in die US Navy aufgenommen wurde. Das er später als Kommandant eines Schnellboots nach Kollision mit einem japanischen Zerstörer bis auf zwei unmittelbare Opfer seine Besatzung rettete, was als Heldentat gefeiert wurde, widerlegte diese Einschätzung eindeutig. Aber auf die Frage, wie er zum Helden wurde, hatte er seinerzeit eine einfache Erklärung abgegeben: „Weil mein Boot versenkt wurde…“ George Bush Senior hatte darauf auf einer Ehrentafel für Seals in Maine Bezug genommen und ähnlich geantwortet: „Weil mein Flugzeug abgeschossen wurde…“
Kennedy hatte vor dem Kriegsausbruch 1939 Großbritannien, Frankreich, Polen und Deutschland bereist und sich auch persönlich in Moskau von der Lage in der Sowjetunion ein Bild gemacht. Ergebnis seiner Beobachtungen war u.a. das Buch „Why Britain slept“ über die erfolglose Appeasement-Politik gegenüber Nazideutschland.
Mit Ausstellungsstücken und Zeitdokumenten aus Film und Fernsehen wurde der Weg des in Boston-Brookline geborenen hoffnungsvollen jungen Abgeordneten und späteren Senators Kennedy über die ersten Niederlagen (1956 wurde er nur knapp nicht als Vizepräsidentschaftskandidat nominiert) bis zur Wahl als demokratischer Präsidentschaftskandidat und dem anschließenden Wahlkampf gegen den amtierenden Vizepräsidenten Nixon anschaulich aufgezeigt. Und auch die Premiere in diesem Wahlkampf: das erste Fernsehduell zweier Präsidentschaftskandidaten. Wobei es erstaunlich fair und sachlich zuging, die Positionen wurden dargestellt und dem Wähler zur Entscheidung empfohlen – keine Unterstellungen, Falschbehauptungen oder Einwürfe (die Leserin/der Leser mag hier gern eigene Vergleiche anstellen…).
Immer wieder interessant waren die Einblicke in die Motive und Überzeugungen Kennedys, oft anhand von O-Ton oder Originaldokumenten. In seinem Buch „Profiles on Courage“ widmet sich JFK Politikern, die aus tiefster Überzeugung und sachlichen Erwägungen Entscheidungen getroffen haben, entgegen einfachen Rezepten und Erwartungshaltungen von Wählergruppen oder gar von Nachteil für die eigene Karriere. (Ein Rezept gegen Populismus?) Dies hat scheinbar auch Kennedy angetrieben und Kraft für schwierige Zeiten als jüngster Präsident der USA (mit 43 Jahren) gegeben. Die 1960er Jahre waren ebenso wie heute herausfordernde Zeiten, innenpolitisch und global. Warum Amerikaner, die zufällig mit dunkler Hautfarbe geboren wurden, nicht weniger Rechte als andere haben sollten; warum angesichts millionenschwerer Konzerngewinne ein Mindestlohngesetz wichtig ist, damit die arbeitenden Menschen ein Auskommen haben … (Kommt einem irgendwie bekannt vor.)
Und auch die bisher größte Krise, die die Menschheit an den Abgrund geführt hat: die Kubakrise mit der Gefahr eines Atomkriegs. Diese 13 Tage wurden zur härtesten Bewährungsprobe des jungen Präsidenten, wie auch aus den heimlichen (durch JFK veranlassten) Tonbandmitschnitten der Beratungen deutlich wird. Auch hier fällt irgendwann das Wort „Deal“, aber nicht als Instrument der Selbsdarstellung oder kurzsichtiger Ambitionen, sondern zur Rettung des Friedens und der Menschheit.
Natürlich spielte auch der Kennedy-Besuch in Berlin eine Rolle und seine spontan geänderte Rede, mit den berühmten Worten der Solidarität „Ich bin ein Berliner“. Der Zettel mit der Lautschrift dieses Satzes, so dass JFK ihn korrekt aussprechen konnte, ist hier ausgestellt.
Und es wird auch auf das Erbe von Kennedy eingegangen: das Raumfahrtprogramm, die Erweiterung des Kreises für die Verleihung der Medal of Honor um Künstler, Wissenschaftler, Privatpersonen, die sich um das Gemeinwesen verdient gemacht haben, usw.
Ein fast schon symbolisches Ereignis war auf dem Außengelände zu beobachten: Das Lieblingsboot von JFK, die „Victura“, wurde gerade wieder flott gemacht – es fehlt jetzt nur noch der Richtige, der (siegreich) wieder den richtigen Kurs segeln kann …
Nach soviel Eindrücken und Inspiration ging es weiter zu den Umbrüchen weit vor Kennedy – den Wurzeln der amerikanischen Revolution, Wir fuhren zurück zum Boston Commons, dem ersten öffentlichen Park auf dem Gebiet der späteren USA um dort einen geführten Spaziergang entlang des Freedom Trail zu beginnen. Geschichtlicher Ausgangspunkt war die Kolonie, die Puritaner 1630 als Flüchtlinge vor der Anglikanischen Kirche hier gegründet hatten. Seltsamerweise errichteten diese wiederum ein ebenso intolerantes Regime und unterdrückten nichtpuritanische Glaubensrichtungen, lange bevor man sich später arrangieren musste. Irgendwann schlug der Unmut über die koloniale britische Herrschaft mit dauernder Fremdbestimmung aus London, einschließlich „Taxation without Representation“ (Steuern zahlen aber nicht mitbestimmen dürfen!) um in Aufruhr. Höhepunkt war die berühmte Boston Tea Party, bei der Tee (nach heutigen Wert von mehreren Millionen) im Hafen versenkt wurde. Die Tour führte zu den einzelnen Schauplätzen der Ereignisse oder mit Bezug zu den Akteuren: die Grabstätten von Otis, Revere, Samuel Adams, der Familie von Benjamin Franklin, von John Hancock und Paine (ebenfalls Unterzeichner der Unabhängigkeitserklärung); die Kirche, wo sich 5000 Männer versammelt hatten und von dort aus die Tea Party beschlossen und gestartet hatten, sowie das State House, auf dessen Vorplatz das sogenannte Boson Massacre stattfand. Letzteres war übrigens ein Ereignis, was mit „Fake News“ propagandistisch ausgeschlachtet wurde und das Feuer und den Volkszorn weiter anfachte. Eigentlich waren die britischen Soldaten einem von einem Mob beschimpften und bedrängten Posten zu Hilfe gekommen. Erst als diese einen Warnruf „Feuer“, der sich auf ein in der Nähe brennendes Gebäude bezog, als Kommando für auftständische Schützen missverstanden, fielen die Schüsse, die 5 Siedler tödlich trafen. John Adams, später 2. Präsident der Vereinigten Staaten, bestand aber auf einem fairen Prozess, damit die gerechte Sache der Revolution nicht mit einem Unrecht begann und er verteidigte die Soldaten. Für einige wurde die Mordanklage zu Totschlag heruntergesetzt, andere wurden freigesprochen. Die Verurteilten wurden gebrandmarkt und ebenfalls nach England zurückgeschickt, für einen Prozess der Ihnen aber dort nicht gemacht wurde.
Wieder viele interessante historische Einblicke, die bei dem einen oder anderen wohl in Vergessenheit geraten sind ;-( Aber das gibt es ja auch bei uns in Deutschland und Europa…
Am Endpunkt lagen die historischen Markthallen, durch die wir noch hindurchschlenderten und der Quincy Market mit einem vielfältigen Imbissangebot. Wir hatten uns gedanklich aber bereits auf ein leckeres Abendessen in einem Fischrestaurant eingestellt und gingen zu Legal Seafood (auch eine Empfehlung des Stadtführers). Wir beschlossen den Abend also ganz legal …
Zurück an unserem Hotel, das auf Pfählen an der Stelle einer ehemaligen Pier ins Wasser gebaut ist, erfuhren wir noch etwas zur Geschichte der Gegend als Werft, Umschlagplatz und Gründungsort der US-Küstenwache, die hier als Zusammenlegung von Zoll, Schiffahrtsaufsicht und Rettungsorganisation entstand.
P.S.: Nebenbei wies uns der Stadtführer noch auf ein Gebäude hin, heute eine Baptistenkirche früher ein Theater, in dem Charles Dickens höchstselbst als Solist mit verteilten Rollen das Christmas Carol aufführte. Er logierte im Parker House nebenan.