Sonntag, 07.09201

Basel

 

Nachdem uns gestern der halbe Tag für die Stadterkundung entgangen war – der geneigte Leser wird sich an unser Bahnabenteuer erinnern – hatten wir heute Einiges aufzuholen.

Dafür legten wir mit einem guten Frühstück eine solide Grundlage und marschierten los. Birgit wollte unbedingt das vom Hotel kostenlos bereitgestellte mobil-Ticket einmal nutzen und so kehrte sie – inzwischen waren wir zu Fuß fast am Rhein angekommen – noch einmal zum Hotel zurück um den Reiseführer zu holen. Ein Blick auf den Rhein, sehnsüchtig und verträumt wie der der rastenden Helvetia-Skulptur, die bei ihrer Wanderung durch die Schweiz einmal kurz Schwert und Schild, und Koffer (!) abgestellt hatte. Dann ging es den empfohlenen Spazierweg entlang, zunächst zur Basler Riviera. Erst später sollten wir anschaulich eine Erklärung für diese Namensgebung bekommen … Wir liefen auf der Kleinbasler Seite in Richtung Solitude Park und Tinguely-Museum. Am Rheinuferweg dann eine Ausstellung über den Kampf für Frieden, Umweltschutz, Nachhaltigkeit, gegen Krieg und Armut anlässlich der OSZE-Präsidentschaft der Schweiz und dem bevorstehenden Treffen in Basel. Beeindruckende Fotos und Fakten, die nachdenklich stimmten, selbst an einem sonnigen Sonntagvormittag. Verstörend ging es weiter: auf dem Solitude-Weg war es voll, das Tinguely-Museum betraten wir durch einen Bekleidungsshop mit reichlich Sonderangeboten und hatten Not bis zur Museumskasse vorzudringen. Erst während der öffentlichen Führung zur aktuellen Sonderausstellung „I AM NOT YOU“ wurde das Geheimnis gelüftet. Der Shop gehörte zum Konzept des tschechischen Künstlers Krištof Kintera, der es darauf anlegte, die Museumsbesucher und Kunstinteressierten aus den vertrauten Mustern herauszureißen und eben keinen erhabenen tempelartigen Zugang zu seiner Ausstellung haben wollte. Die Nervosität der Ausstellungsbesucher übertrug sich scheinbar auf die Exponate; die dürren nervösen Bäume (durchaus menschenähnlich, allerdings mit der Erdkugel als Kopf) zitterten von Zeit zu Zeit, vielleicht ob der ungewissen Zukunftsperspektive für Baum und Erdball. Was als vordringlich lustig oder skurril daherkommt, wie ein schimpfender Rabe oder ein trommelndes gehörntes Ungetüm zu wilder Musik und „Bad News“ von Katastrophen, Kriegen und Wirtschaftskrisen aus dem Radio, lässt einem mitunter das Lachen im Halse stecken bleiben. Der Mengele-Totentanz von Tinguely knüpft an mittelalterliche, auch Basler, traditionelle Darstellungen an – allerdings mit verrosteten quietschenden Landwirtschaftsgeräten, drapiert mit Viehschädeln als Zeichen der Vergänglichkeit. Ironie des Schicksals, dass der eingeprägte Name des Landmaschinenherstellers an einen Maschinisten der Vernichtung erinnert, den KZ-Arzt Mengele aus der gleichen Familie. Doch dann wieder zu Kintera und noch mehr Verstörendes: ein zusammengekrümmtes Etwas mit durchaus menschenähnlichen Konturen in einer dunkelroten Pfütze deutet die Brutalität des Alltags an. Ein dumpfes Hämmern im Keller führt zu einer kleinen Figur im Hoody, die ihren Kopf an die Wand schlägt – Titel „Revolution“… Mit dem Kopf durch die Wand? Oder doch verzweifeltes Sich-den-Kopf-zermartern ob des Ausgangs der Revolution. Kintera gibt keine Interpretation vor, er findet seine Gedanken und Ideen zu einem Exponat nicht wichtiger als die der Betrachter.

Diese von Kintera provozierte Verstörung passt zu Tinguely, dem Meister der beweglichen Exponate, der „Kunstmaschinen“, dem das Museum gewidmet ist. Er liebte Performance, stellte seine Kunst in den öffentlichen Raum und wollte kein Museum – „Ihr steckt die Kriminellen ins Gefängnis und die Künstler ins Museum…“ Aber ob sich die beweglichen Schrottplastiken, rotierenden minimalistischen Punkt-Strich-Gemälde anderswo so gut erhalten hätten? Gut am Centre Pompidou ist die Installation mit den Nanas seiner Lebensgefährtin Niki de Saint-Phalle noch intakt, ebenso der Fastnachtsbrunnen in Basel. Aber einiges ist so monströs und doch gespickt mit filigranen Details wie Touristenkitsch aus Venedig, einem holzgeschnitzten Karusselpferd und noch viel mehr, vereint in einer Skulptur, „deren Betreten auf eigene Gefahr“ erfolgt.

Zurück zum Rhein und der Fröhlichkeit: durch die Glasfront des Museums ist im Rhein der Kopf eines Schwimmers zu sehen, mit einem plastikähnlichen Gebilde neben sich: Alles klar, ein Rheinschwimmer mit einem sogenannten „Wickelfisch“, in dem die Kleidung für den „Landgang“ wasserdicht transportiert werden kann. Unterhalb des Museums liegen und sitzen etliche Sonnenbadende und der Eine oder Andere startet hier seinen Schwimmausflug rheinabwärts mit einem Wahnsinnstempo mit der Strömung. Von unserem Kaffeepausenausguck auf Pfählen über dem Fluss – dem Rhybadhäusl (Rheinbadehaus) sind die Rheinschwimmer noch besser zu beobachten – einige starten auch direkt hier von der angeschlossenen Sonnenterasse.

Auch wir lassen uns weiter treiben, entlang des Spazierwegs vorbei am Papiermuseum und dem alten Wasserrad zum Basler Münster. Konnten wir bei unserer ersten Rheinradtour vor drei Jahren nur den Panoramablick vom Platz hinter dem Münster genießen so durften wir diesmal auch die romanische Unterkapelle, Schiff und Gestühl des Münsters sowie die tollen Glasfenster bewundern. Sonne und Glasmalereien zauberten die erstaunlichsten Reflexe auf den Steinfußboden. In das Gemurmel der Touristen mischten sich Gesangsfetzen eines südafrikanischen Schulchors, der für das abendliche Gospelkonzert probte. Und bunt und abwechslungsreich ging es weiter: Nach dem Weg durch beschauliche Gassen auf dem Heuberg bis zum Spalentor, einem Rundgang durch den Botanischen Garten der Uni Basel – einschließlich Tropengewächshäusern mit tropischen Vögeln, Schildkröten und Fischen – und dem Marktplatz und Rathaus gönnten wir uns eine Fährüberfahrt, geführt durch ein Drahtseil an einer Art Oberleitung über den Fluss, mit dem Fährmann in seinem Bootshäuschen an der massiven hölzernen Ruderpinne. Nun waren wir wieder auf der belebten Kleinbasler Rivieraseite angelangt. Ein bisschen tauchten wir in diese Stimmung ein bis es uns wieder in ruhigere Gassen zog, wo wir uns schon einmal nach einem Lokal mit Schweizer Spezialitäten umschauten. Schließlich fuhren wir doch noch einmal drei Tramstationen weiter zurück auf die Großbasler Seite zum Markt, wo wir in einem Brauhausrestaurant entspannten – bei dem herrlichen Wetter natürlich Freiluft – und lecker zu Abend aßen. Die Dessertauswahl war nicht so zufriedenstellend; also gönnten wir uns im Bistro unseres Hotels zum Abschluss noch eine Toblerone-Mousse mit Erdbeeren.

 

Steffen