Kitsap Memorial Park – Shelton (98,97 km)
Nach einer erholsamen langen Nacht und einem guten Frühstück mit heißem Tee dank Propangaskocher starteten wir frühzeitig in den Tag. 8.45 Uhr rollten wir bereits nachdem alles eingepackt, das Zelt abgebaut und die Räder fertig bepackt waren.
Es lief auch viel besser an als gestern, vielleicht war daran die Sonne schuld, die schon schien, so dass der Tag viel freundlicher begann.
Gut, auch heute blieben uns Anstiege nicht erspart, allerdings nur wenige steile von ganz unten nach ganz oben (bis auf eine große Ausnahme – von 23 m auf 99 m). Die Strecke wellte sich quasi so dahin. Und unsere Mühen wurden immer wieder durch schöne Ausblicke und wunderschöne grüne Waldstücke links und rechts des Weges belohnt. Zwischen den Bäumen öffnete sich die Aussicht auf den Hood Canal, den wir gestern ja schon überquert hatten. Später sollten noch weitere Fjorde und einige Binnenseen dazukommen. Eine schönes Zusammenspiel von grün und blau, und in der Ferne thronen über allem die schneebedeckten Gipfel der Olympic Mountains.
Es war Samstag und da waren viele auf ihren Wochenendgrundstücken, der eine oder andere Rasenmäher war zu hören oder gar zu sehen. Aber auch der eine oder andere Läufer und sogar mehr als nur der eine gelegentliche Radfahrer, meist leichtgewichtig auf dem Renn- oder Tourenrad unterwegs. Eine Gruppe Frauen gemischten Alters, die uns auf ihren Rädern überholte, erkundigte sich nach unserem Ziel und war begeistert wie es nur Amerikaner sein können. Als wir sie später an einer Tankstelle mit Shop überholten, feuerten sie uns an wie beim Zieleinlauf der Tour de France oder so ähnlich. Ein Mann auf Rennrad überholte uns und fragte mit einem Blick auf unser Gepäck wissend „Mexican Border?“
Wir trafen sogar zwei Männer auf Rennrädern mit etwas Gepäck. Sie hatten nur eine Wochentour nach Eugene (Oregon) vor.
Überhaupt wurden wir immer wieder ausgefragt und in Gespräche verwickelt. An unserem geplanten Etappenziel – Shelton – mussten wir kurz Karte und GPS konsultieren, um das beste (weil einzige) Hotel am Platz zu finden. Sofort wurden wir von einem älteren Herrn angesprochen, er bot uns Wasser an. Da er unsere Erwiderung nicht verstand, kam er näher und schon waren wir wieder im Gespräch. Nat, seine Frau Marcy kam auch hinzu, erzählte uns, dass sie sich selber noch nicht so gut in Shelton auskannten. Sie sind erst vor 14 Tagen aus Nebraska hierher gezogen. Dort war die Luft so schlecht, nicht zu vergleichen mit der frischen Bergluft in Washington. Sie haben sich dieses Häuschen hier – ein „bankruptcy home“ – gekauft und hätten nun gerade den Vorgarten soweit in Schuss.
Nachdem wir auf Nachfragen unserer Vorhaben „enthüllt“ hatten, war Nat ganz begeistert, dass wir aus Deutschland sind. „Guten Tag, sprechen Sie deutsch?“ konnte er noch, aber er bedauerte, dass trotz deutscher „Vorfahren“ vieles in Vergessenheit geraten sei. Sein Vater war im Alter von fünf Jahren 1903 aus Deutschland in die USA gekommen. Seine Mutter war auch Deutsche, aber schon in Amerika geboren. Ja, sie hätten auch noch Verwandte in Deutschland gehabt, aber jenseits der Mauer und da hat sich die Spur schnell verloren… Nat wünschte uns noch eine gute Reise, Gottes Segen – und vielleicht sieht man sich ja noch einmal, wenn nicht auf Erden so doch bestimmt da oben im Himmel.
Doch nun mussten wir erst einmal ein Hotel finden. Das Shelton Inn hatte ich bereits von unterwegs mit dem Handy angerufen und da war aufgrund einer Stornierung gerade noch ein Doppelzimmer frei. Aber bevor ich noch die Buchung fest machen konnte, brach AT&T, vielmehr das Netz zusammen.
Jetzt war weder für den Mann vor mir, der eine Reservierungsnummer über Telefon bekommen hatte, noch für uns ein Zimmer frei. Das Super8-Motel, so die Frau an der Rezeption des Shelton Inn, sei wohl auch schon ausgebucht. Dann wäre da nur noch das City Center Motel.
Und wir hatten Glück, der freundliche Mann an der Rezeption, der ein bisschen wie das unbekannte weil nicht vorzeigbare dritte Mitglied von ZZ Top wirkte, gab uns das letzte Zimmer, das vorher durch ein amerikanisches mittdreißiger Paar als nicht angemessen beurteilt worden war.
Das saubere, aber etwas abgewohnte Zimmer (siehe billiges Motel in diversen amerikanischen Filmen) war uns gerade recht. Zumindest hatten wir eine heiße Dusche und mussten nicht noch 30 km weiter radeln.
Den Abend beschlossen wir gemütlich in Steven’s (!) Restaurant mit guter Küche: Lachs über Zedernholz gedünstet mit grünem Spargel, Brokkoli und einer Art Reisnudeln versus Jambalaya mit Jakobsmuschel, Tiger-Garnelen, Lachs, Kabeljau und Schinken in einer würzig-scharfen roten Sauce, dazu ein Gläschen Rotwein bzw. ein Alaska Amber Bier. Achja, und ein Dessert. Das haben wir uns aber nach 8 h Radfahren und fast 100 km auch verdient.