Lairg-Cromarty
69,45 km
Von Lairg aus führte die Strecke bald
an den River Shin, der in Lairg den Loch Shin bildet. Zunächst
durchquerten wir offenes Gelände mit dem Shin leicht unter uns, bald
tauchten wir in eine bewaldete Nebenstraße ein, die zum „Salmon
Leap“ führte, eine umtoste natürliche Steintreppe im Fluss,
den die Lachse auf dem Wege in ihre Laichgründe überwinden müssen.
Nach Invershin ging es ein Stück auf der Hauptstraße weiter und
jetzt war der Radweg rechtsab Richtung der Eisnbahnbrücke am Kyle of
Sutherland ausgeschildert, allerdings mit dem Hinweis, dass dort
Stufen zu überwinden seien. Doch es war auch die Altenativroute über
Bonar Bridge ausgewiesen, für die wir uns angesichts unserer
beladenen Räder entschieden. Linkerhand lag jetzt wieder Wasser,
allerdings war dies bereits das Meer, die Ausläufer des
langgezogenen Dornoch Firth, denen wir bis in die alte Stadt Tain
folgten, mit einer Mischung aus schwarzweißen Fachwerkhäusern und
Steinhäusern. Zuvor mussten wir leider noch zwei Whiskybrennereien
(Balblair und Glenmorangie) buchstäblich links liegen lassen, da
wir noch einige Kilometer vor uns hatten. Aber wir bekamen auch so
etwas ab: der süßlich-malzige Whiskyduft lag in der Luft – zum
Glück nicht so stark sonst hätten wir nach dem Einatmen nicht
weiter Fahrrad fahren dürfen. Bekannt wurde Tain als Geburtsstadt
des Heiligen Duthac (St. Duthus), über dessen Wundertaten
ausführlich als „Comic“ in der als Museum hergerichteten
Pilgerherberge (Pilgrimage) berichtet wird. Mit sehr schönen
Illustrationen werden auch die bewegte Geschichte der zahlreichen
Kämpfe innerhalb Schottlands und gegen England dargestellt. Der
Museumsmitarbeiter war sehr hilfsbereit und da wir gerade die
einzigen Besucher waren, führte er uns noch über den Friedhof zum
eigentlichen Tain District Museum. Er zeigte uns einige ältere
Grabsteine aus dem 15. Jh., unter anderem von Personen aus dem
Ross-Clan, nach dem die Gegend und die Grafschaft benannt ist:
Rosshire bzw. Ross and Cromarty. Aber es gibt offenbar noch ältere
Gräber; er zeigte uns drei Stellen mit einem gewölbten Deckstein,
bei den es sich vermutlich um nordische (Norse) Gräber handelte,
also von hier ansässigen Norwegern und nicht von räuberischen
Wikingern. Und dann zeigte und erläuterte er uns noch den großen
Piktenstein, der trotz der fortschreitenden
Verwitterung zur
ersten Kategorie der piktischen Hinterlassenschaften gehörten, d.h.
rein piktisch ohne beigefügte christliche Symbole wie auf später
datierten Funden. Zwei dieser hervorragenden Zeugnisse der
Piktenkultur, die übrigens wegen dieser Zeichnungen so genannt wurde
(wie sie sich selbst nannten ist bislang unbekannt), sollten wir noch
später auf der Tour sehen. Hier verließ uns der enthusiastische
Museumsführer, da sich gerade zwei Besucher vom Museum zur
Pilgrimage begaben. Im Museum fanden sich neben einem Sammelsurium
aus der Stadt- und Regionalgeschichte – Fotoapparate, Utensilien,
Orden usw. – wieder viele Erläuterungen zur schottischen Geschichte,
aber immer mit Bezug auf Tain und die Region. So wurde Tain als
wichtige Pilgerstätte oft vom schottischen Könoig James IV besucht.
Dazu gab es auch in der Kirche viele Informationen, hier ging es aber
auch noch um die Zeiten vor und nach der Reformation. Ein auf seinen
Reisen in Deutschland von den Ideen Luthers angesteckter Zeitgenosse,
der diese auch an der Universität von St. Andrews verbreitete, starb
eben dort 1528 auf dem Scheiterhaufen einen qualvollen Flammentod.
Auffällig in der Kirche: die vielen
Grabplatten und Gedenktafeln für „Prominente“ mit Namen
Ross oder Rose. Der Clan Ross war über die Zeit immer größer
geworden, und zwar nicht nur in direkter Verwandschaftslinie.
Vielfach nahmen die Untergebenen auch den Namen ihres jeweiligen
Herren an. Ein Nachkomme der Ross aus Rosshire ist z.B. auch der
US-Astronaut Jerry Ross (geboren allerdings in Indiana). Nach sowiel
„Input“ brauchten wir erstmal eine kleine Pause im
Sunflower Café bevor wir wieder weiterradelten. Vielleicht waren die
Sonnenblumen ein gutes Omen, jedenfalls kam ab und zu die Sonne
hervor, natürlich nicht ungetrübt sondern abgelöst von ein paar
Regentropfen, zum Glück nur kurzzeitig. Auch die Strecke war sehr
angenehm ohne größere Steigungen und so rollten wir gut bis zum
Hilton of Cadbol. Hier wurde der
Chadwick Stone entdeckt, ein
großer Stein mit kunstvollen piktischen Motiven. Nach „Einsammeln“
sämtlicher Bruchstücke wurde der Stein rekonstruiert und
restauriert. Das Original steht heute in Edinburgh im schottischen
Nationalmuseum, an der Fundstelle steht eine Replik, die aber nicht
minder kunstvoll von einem Steinmetz (Barry Grove) nach einem Jahr
Arbeit im Jahr 2000 fertiggestellt wurde. Ein beeindruckendes
Original-Kunstwerk der Pikten wird in der Nigg Old Church
ausgestellt. Auch hier finden sich ausschließlich rätselhafte
piktische Darstellungen und Symbole. Über dieses Volk im Norden, auf
das bereits die Römer bei ihren Streifzügen gestoßen waren und das
erst gegen 800 christlich wurde, ist nicht sehr viel bekannt. Auch
auf dem Friedhof der alten Kirche von Nigg gab es viele Grabsteine
mit dem Namen Ross… Um einen Stein machten wir einen großen Bogen
– den Cholerastein, mit dem ein Priester die vermeintliche Quelle
giftiger Ausdünstungen als Ursache der damaligen Epidemie
verschlossen hatte.
Auf dem Weg zur Fähre, die nur in der Sommersaison zwischen Nigg und Cromarty verkehrt, passierten wir das Nigg Oil Terminal und ein großes Firmengelände. Von der Anlegestelle aus waren auch die riesigen Bohrinseln und einige Spezialschiffe zu sehen. Auf der kleinen Fähre, die ganz schön mit der Strömung zu kämpfen hatte, „schaukelten“ wir, ein Fußgänger und ein Auto (für viel mehr war auch kein Platz) hinüber nach Cromarty, eine niedliche kleine Stadt mit Straßenzügen und Gebäuden aus dem Ende 18. bis 19. Jh. Auch unsere Unterkunft (Bed & Breakfast) befindet sich in einem Haus (Sydney House) aus dem Jahr 1849. Nach einem freundlichen Empfang durch die Gastgeber und einem Tee mit etwas Kuchen erkundeten wir zu Fuß die Stadt, genossen den (!) Sonnenschein und aßen im Wintergarten des Royal Hotel Abendbrot.